Skip to content

Kuckuck

Ein wunderschöner Frühsommertag Anfang der 70er. Sohn Konrad sitzt mit den Eltern auf der Terasse und erledigt leise fluchend Matheaufgaben als ein Hubschrauber lärmend heranschwebt. Direkt über ihnen, so niedrig, dass das Gras umgeweht wird erklingt eine kratzige, kaum zu verstehende Megaphonstimme sagt etwas wie: „Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei! Ein bewaffneter Bankräuber befindet sich in unmittelbarer Nähe auf freiem Fuß. Bitte gehen Sie sofort ins Haus. Ich wiederhole…“

Dann entschwindet der Hubschrauber und man blickt sich erstaunt an, unterhält sich aber normal weiter. Vater Mathes ermahnt Sohn Konrad, seine Hausaufgaben ordentlich zu erledigen. Dieser erwiedert gewohnt schnippisch: „Fang‘ du doch lieber diesen Bankräuber, statt zu nerven!“.

Mathes geht kurz darauf ins Haus, kommt mit einem in eine blaue Arbeitshose eingewickelten Jagdgewehr wieder heraus und schlendert Richtung Wald. Konrad vertieft sich kopfschüttelnd wieder in seine Aufgaben. Päckchen rechnen, Textaufgaben lösen; anstrengendes, wiederliches Zeug, von dem jedes Schulkind gerne erlöst würde. Gäbe es doch eine einmalige Impfung, die, einmal auf einem Zuckerstück eingenommen, alles Schulwissen sofort im Gedächtnis bereitstellte.

Als er in solchen Träumen versunken wenig später von seinen Heften aufblickt, bietet sich ihm eines der unvergesslichsten Bilder seines Lebens. Mathes kommt durch den Garten zurück und hat ein paar Plastiktüten am Handgelenk. Weitaus erstaunlicher aber ist: Ein mittelgroßer, in einem grauen Anzug gewandeter Mann geht etwa 2 Meter vor ihm und streckt seine beiden Arme kerzengrade in den Himmel.

Konrad denkt sofort, Mathes hat zufällig im Wald einen Freund getroffen und spielt ihm etwas vor. Aber weit gefehlt, das war tatsächlich der gesuchte gefährliche Bankräuber! Er hatte kurz zuvor mit eine Pistole und einer selbst gebastelten Bombe die unweit gelegene Filiale der Trinkhausbank (später Deutsche Bank) ausgeraubt und Mathes hatte ihn im Wald gestellt und entwaffnet.

Gemeinsam nahm man nun auf der Terasse Platz und Mathes untersuchte Waffe, Bombe und Beute. Es handelte sich dabei um ca. 14.000 DM, heute vielleicht ein Wert von 40.000 Euro, eine Spielzeugpistole aus Plastik und einen Schuhkarton mit einigen Schalen Heringssalat. Letzterer enthielt zugleich die Beute, welche sich wahrscheinlich in der Hektik der Flucht unglücklich mit dem Salat vermengt hatte. Polizei und Eltern reinigten später zusammen auf unserem Küchentisch die Geldbündel mit warmem Wasser und kleinen Schwämchen.

Ungefähr 20 Jahre später erwähnte Mathes einmal beiläufig, wie er den Räuber damals im Wald von hinten angesprochen hatte: „Kuckuck!“